In Deutschland entfacht nicht nur unter Spracheninteressierten immer wieder die Diskussion: Siezen oder Duzen? Viele Deutschsprachige fühlen sich unwohl und teilweise beleidigt, wenn man sie duzt. Häufige Argumente gegen das Duzen verurteilen diese Kommunikationsform, da sie respektlos sei und ein nicht existentes freundschaftliches Verhältnis zwischen den Gesprächsteilnehmenden suggeriere. Allzu häufig höre ich den Einwand: „Ich will doch von meiner Bank oder Versicherung nicht geduzt werden?!“
Meine Arbeitssprachen als Übersetzer und Dolmetscher sind Deutsch, Spanisch und Polnisch. Die Länder und dazugehörigen Kulturen, mit denen ich mich beruflich am intensivsten auseinandersetze, sind folglich Deutschland, Spanien, die spanischsprachigen Länder Amerikas und Polen. Dass man in südländischen Gefilden – wie beispielsweise Spanien, Italien oder auch Lateinamerika – schnell beim „Du“ ist, ist vielen sicherlich geläufig. Doch auch in unserem östlichen Nachbarland Polen, das nicht gerade für Sommer, Sonne, ein lockeres Miteinander und unbändige Leidenschaft steht, wird man schneller geduzt als so manchem lieb ist. Auch von der Bank und der Versicherung …
Da mit Sicherheit vielen nicht bewusst ist, wie präsent das Du in der polnischen Kommunikation ist, habe ich mich entschlossen, diesem Thema einen Blogeintrag zu widmen. Wie immer gilt: Dies ist keine wissenschaftliche Abhandlung, sondern eine Mischung aus kultureller und sprachlicher Expertise und persönlichen Erfahrungen. Wir beginnen zunächst mit dem etwas trockenerem Teil, der grammatischen Erklärung. Danach folgen jedoch zur Belohnung einige Beispiele mit bunten Bildchen.
Kurze Einführung in die polnische Grammatik: die Personalpronomen
An dieser Stelle möchte ich (sehr) kurz auf das entsprechende Kapitel der polnischen Grammatik eingehen, also die Verbkonjugation, beziehungsweise auf die Personalpronomen im Nominativ. Kurze Erinnerung: Als Personalpronomen nutzen wir im Deutschen ich, du, er, sie, es, wir, ihr, sie und die Höflichkeitsform Sie, die wir sowohl im Singular als auch Plural nutzen, um uns höflich an eine Person zu wenden.
Das Polnische nutzt ebenso Personalpronomen, auch wenn in geringerem Umfang, worauf ich hier nur (sehr, sehr) kurz eingehen möchte. Das Polnische funktioniert in dieser Hinsicht wie das Spanische oder Italienische. Wenn wir Verben nutzen, müssen wir davor nur selten das Personalpronomen setzen. Im Deutschen muss vor das konjugierte Verb ein Personalpronomen stehen: Ich esse, du isst … Im Polnischen zeigt uns die Verb-Endung, welche Person gemeint ist, weswegen das Personalpronomen entfallen kann: (ja) jem, (ty) jesz …
Hier eine Gegenüberstellung der Personalpronomen im Nominativ im Deutschen und Polnischen:
Deutsch | Polnisch |
---|---|
ich | ja |
du | ty |
er | on |
sie | ona |
es | ono |
wir | my |
ihr | wy |
sie | oni (Maskulinum) one (Femininum und Neutrum) |
Sie | Pan (Maskulinum Singular) Pani (Femininum Singular) Panowie (Maskulinum Plural) Panie (Femininum Plural) Państwo (gemischtes Geschlecht) |
Wie wir also sehen, ist es gar nicht so einfach, das höfliche Sie im Polnischen einzusetzen. Im Deutschen nutzen wir das Sie im Singular und Plural, unabhängig vom Geschlecht unseres Gegenübers. Im Polnischen passt sich die Höflichkeitsform immer unserem Gegenüber an, was die ganze Sache natürlich stark verkompliziert.
Der höfliche Imperativ im Polnischen
Noch komplizierter wird es, wenn wir im Polnischen unser Gegenüber zwar siezen, aber gleichzeitig zu etwas auffordern wollen. Im Deutschen sind solche Sätze auf Webseiten oder in Informationsmaterialien häufig anzutreffen: Testen Sie unser Angebot!, Lesen Sie mehr!, Greifen Sie zu!
Im Polnischen gibt es hierfür jedoch keine prägnante Form. Da wir in diesem Fall die Allgemeinheit – beispielsweise alle Besucher und Besucherinnen einer Website – ansprechen möchten, benötigen wir Państwo als Pendant des deutschen Sie. Die einzige Möglichkeit, um mit Państwo den Imperativ zu bilden, ist die Konstruktion mit Niech am Anfang. Das deutsche Setzen Sie sich! wäre im Polnischen also Niech Państwo usiądą!, was für polnische Ohren viel zu kompliziert und hochtrabend klingt. Diese Konstruktion mit Niech müsste man, um diesen schwülstigen Ton zu verdeutlichen, ins Deutsche rückübersetzen mit Auf dass Sie sich setzen mögen!
Deshalb sind in Polen alle per Du: Beispiele mit Bildern
Natürlich ist diese Aussage falsch. Wenn man einer Person gegenübersitzt, der man sich höflich zuwenden möchte, nutzt man in Polen durchaus die Höflichkeitsformen, die einem zur Verfügung stehen. Anders sieht es aber auf den bereits oben angesprochenen Webseiten und Informationsmaterialien aus. Wenn man sich lediglich diese Texte ansieht, könnte man tatsächlich meinen, dass alle Polen – ob jung, ob alt – per Du sind. Die Duz-Form, vor allem der Imperativ mit Du, ist für Polnischsprachige ein angenehm klingender Standard und ist darüber hinaus deutlich kürzer, was für Webseiten- und Marketingtexte ein äußerst wichtiges Argument ist.
Um das zu verdeutlichen und mit der Realität in Deutschland zu vergleichen, habe ich einige Screenshots in einer Galerie zusammengestellt. Es handelt sich um keine objektive Recherche, sondern um einen kleinen Einblick in die Kulturspezifika Deutschlands und Polens. In diesen Kategorien habe ich folgende Unternehmenswebsites herausgesucht und gegenübergestellt:
- Banken: Deutsche Bank (deutsche-bank.de) und PKO Bank Polski (pkobp.pl)
- Eisenbahnverkehr: Deutsche Bahn (bahn.de) und Polskie Koleje Państwowe (pkp.pl)
- Fahrzeughersteller: Audi Deutschland (audi.de) und Audi Polska (audi.pl)
- Versicherungen: Generali Deutschland (generali.de) und Grupa Generali (generali.pl) in Polen
- Lebensmitteleinzelhandel: Lidl (lidl.de), Kaufland (kaufland.de) und REWE (rewe.de) auf deutscher Seite sowie Lidl (lidl.pl), Kaufland (kaufland.pl) und Biedronka (biedronka.pl) auf polnischer Seite
Wir erkennen also eine klare Tendenz zum Siezen im Deutschen und Duzen im Polnischen. Eine Ausnahme bildet der Einzelhandel. Hier scheint das Du im Deutschen angekommen zu sein.
Thomas Baumgart ist Konferenzdolmetscher und Übersetzer für Spanisch, Polnisch und Deutsch. Fachgebiete sind Industrie, Technik (IT) sowie Landwirtschaft & Ernährung. Im Blog eines Brückenbauers berichtet er von seinem Berufsalltag als Übersetzer und Dolmetscher und weiteren damit verbundenen Themen.